Menschen fühlen sich aus verschiedenen Gründen von der Idee zu meditieren angezogen. Manche fangen an, sich damit zu beschäftigen, weil sie einen Mangel an Erfüllung in ihrem Leben empfinden. Andere denken: „Das Leben kann so schwierig und erschütternd sein, vielleicht wird Meditation mir helfen, ruhiger zu werden oder Vielleicht wird Meditation mir die Stabilität geben, mit allem, was auch immer passiert, umzugehen, egal wie frustriert oder schlecht ich mich auch fühlen mag“. Das mögen gute Gründe dafür sein, mit Meditation zu beginnen, aber das ist nicht die wirkliche Zielsetzung buddhistischer Praxis.
Wenn Menschen sich auf die Praxis der formlosen Meditation einlassen und besser in der Lage sind, sich mit ihren Erfahrungen zu verbinden, mögen sie tatsächlich ruhiger und ausgeglichener werden. Aber aus buddhistischer Sicht ist das nur ein Nebeneffekt. Der Zweck der formlosen Meditation ist einfach, sich mit einem Gefühl von Raum und Weite zu verbinden, so dass durch die Entwicklung von Bewusstheit eine Art Einsicht oder Vision entstehen kann, die mit der Entdeckung der Natur unserer Erfahrung verbunden ist. Wenn wir etwas von der Natur unseres Geistes entdecken, dann erkennen wir auch etwas von der Natur der Welt und der Natur anderer Menschen. Der Geist ist so sehr wie ein alter Freund, mit dem wir unser ganzes Leben verbracht haben, dass wir dazu tendieren, ihn als gegeben hinzunehmen. Wir fühlen uns, als ob wir bereits alles darüber wüssten. Es ist ganz erstaunlich, dass wir uns gar nicht darum kümmern, unseren Geist einmal näher zu betrachten, oder uns zu erlauben, uns auf unsere Erfahrungen wirklich einzulassen. Am Anfang ist es daher Teil des Trainings, zu erkennen, dass wir in Wirklichkeit sehr wenig über unseren Geist oder über unsere Erfahrungen wissen. Gleichzeitig erkennen wir, dass es tatsächlich möglich ist, davon zu wissen. Wir können beeindruckende Entdeckungen von der Natur der eigenen Erfahrungen machen. Das kann passieren, wenn wir uns mit der Welt verbinden, wie wir sie auf dem Meditationskissen erleben. Wir müssen nicht nach Australien oder in den Weltraum reisen, um diese Entdeckungen zu machen, wir müssen dazu nirgendwo hingehen. Der Buddhismus befasst sich ja nicht mit „Auslandsreisen“. Hinzu kommt die unglaubliche Herausforderung, dass niemand außer uns selbst diese Entdeckungen machen kann. Ganz natürlich entfalten sich Empathie und Verbundenheit mit anderen Menschen, weil alles, was wir über uns selbst entdecken, gleichermaßen für alle anderen zutrifft.
Meditation im Buddhismus
Meditation ist die Basis des Buddhismus. Manchmal haben Leute zu mir gesagt: “Ich bin nicht wirklich an Meditation interessiert – bring mir einfach eine Praxis für´s tägliche Leben bei”. Nun, so einfach ist es nicht – man muss die Sitzmeditation außerdem praktizieren. Wir brauchen eine Art Testumgebung, ein Gefühl von geschaffenem Raum, das den komplexen Vorgängen unseres Geistes erlaubt sich zu zeigen. Nur im Alltagsleben zu praktizieren ist zu schwierig. Wir sind zu sehr unter Druck und haben nicht genug Raum, um uns wirklich mit dem zu verbinden, was vor sich geht.
Der historische Buddha Shakyamuni erzählte einem seiner Schüler, sein Dharma (die Lehre) wäre “komm und sieh”. Seine Lehre ist also eine offene Einladung an alle und frei von jeglichem “Du musst daran glauben”. Im buddhistischen Kontext ist der Buddha das erste und hervorragendste Beispiel für jemanden, der erwacht ist und sich befreien konnte von den erdrückenden Bedingungen, die aus falschen Ansichten über uns selbst und die Welt hervorgehen. Das Wort ‚Buddha‘ ist nicht der tatsächliche Name einer Person, sondern kommt von dem Sanskritbegriff ‚bodhi‘, der ‚Erwachen‘ bedeutet. Wörtlich bedeutet ‚Buddha‘ also ‚Der Erwachte‘. Der Buddha ist der Begründer einer ununterbrochenen Folge oder Linie von Lehrern, die die Lehre vom Erwachen durch die Praxis der Meditation bis in unsere heutige Zeit gebracht haben.
Der grundlegende Fokus buddhistischer Meditation ist Bewusstheit. Es existiert eine natürliche Qualität von Erwacht-sein, die Buddha-Natur, welche jedem Wesen von Anfang an innewohnt. Sie kann nicht zerstört werden, und sie kann nicht verbessert werden. Es gibt jedoch Dinge, die sie verdecken und uns daran hindern, sie zu sehen. Indem wir praktizieren, bringen wir diese Qualität des Erwachens in uns zum Vorschein, und beginnen auch, sie in anderen zu erkennen. Zunächst mögen wir davon nur beschränkt auf uns selbst profitieren, aber auf lange Sicht wichtiger ist, dass sich der Nutzen von dem, was wir tun, über uns hinaus auf alle ausdehnen wird. Diese spezielle Meditation kommt aus der Nyingma (Alte Schule) Tradition des Tibetischen Buddhismus. Sie wird nicht nur in dieser Schule praktiziert, wird in dieser Tradition aber besonders betont. Es ist eine Art der Praxis, die als ‚Samatha‘ bekannt ist und ‚in Frieden verweilen‘ bedeutet. Es ist tatsächlich eine Praxis, die mit dem Entwicklungsprozess verbunden ist, der sich von der Basis des in Frieden Verweilens in einen Zustand ausgedehnter Bewusstheit oder ‚Vipasyana‘ (Einsicht) bewegt.
©Rigdzin Shikpo 2007